Maschinenbauer müssen zunehmend individualisierte Maschinen umsetzen – und das innerhalb kurzer Zeit. Langwierige Testphasen können sie nicht mehr abwarten. Wie können sie also ihre Maschinen schneller auf den Markt bringen? Die Simulation und der digitale Zwilling spielen dabei eine zentrale Rolle.
Wer kennt das nicht: die Frustration, die sich breitmacht, wenn ein arbeitsreiches Projekt nicht den gewünschten Anforderungen entspricht oder nicht so funktioniert wie gedacht. Plötzlich steht das Projekt wieder ganz am Anfang. Besonders verheerend ist diese Situation, wenn es sich bei dem Projekt um eine teure und aufwendige Maschine handelt und die investierte Zeit bei mehreren Wochen oder sogar Monaten liegt. Kann der Entwickler seine Maschine aber vorab virtuell testen, lassen sich Fehler erkennen und beheben, bevor die Maschine gebaut wird.
Eine neue Maschine muss schnell verfügbar sein und den Erwartungen des Kunden exakt entsprechen. Bei der Präsentation des fertigen Produkts festzustellen, dass die Maschine stark von den ursprünglichen Vorstellungen des Kunden abweicht, kann sich niemand leisten. Weder der Maschinenbauer, der eine komplette Maschine sozusagen umsonst entwickelt hat, noch der Maschinenbetreiber, der seine Produkte nicht produzieren kann, weil er auf die neue Maschine warten muss.
Maschine digital testen
Um nicht in dieser Sackgasse zu landen, setzen Maschinenbauer auf Simulation. Mit unterschiedlichen Simulationswerkzeugen lassen sich von einzelnen Mechanismen über ganze Maschinen bis hin zu komplexen Anlagen sämtliche Vorgänge anhand eines digitalen Zwillings testen. „Gute Ideen sind nur die halbe Miete – sie müssen auch funktionieren. Mit Simulation und einem digitalen Zwilling lässt sich genau das testen. Schnell, unkompliziert und günstig“, sagt Kurt Zehetleitner, Verantwortlicher für den Bereich Simulation und modellbasierte Entwicklung bei B&R.
Der digitale Zwilling ist ein exaktes virtuelles Abbild der realen Maschine, das sich genauso verhält und funktioniert wie sein realer Zwillingsbruder. So muss der Entwickler während des Entstehungsprozesses einer Maschine keine Hardware-Prototypen mehr anfertigen. Die reale Maschine wird erst gebaut, wenn sie den digitalen Test bestanden hat, alle Funktionen reibungslos ablaufen und die Vorstellungen des Kunden erfüllt werden. Das spart Zeit und Geld.
Ideen digitalisieren
Für die Simulation stehen unterschiedliche Werkzeuge zur Verfügung. So lässt sich gezielt für jede Aufgabe das passende Werkzeug auswählen. B&R schöpft die verschiedenen Möglichkeiten der Simulation voll aus: „Wir haben ein breites Spektrum an Simulationswerkzeugen in unsere Systeme integriert und können so den kompletten Entwicklungsprozess einer Maschine digital abbilden“, sagt Zehetleitner.
In der Startphase der Entwicklung einer Maschine werden vor allem einzelne Funktionen und Mechanismen überlegt – sozusagen die Grundidee für die Maschine entwickelt. Dafür bietet sich das Simulationswerkzeug MapleSim an. „Wir haben hier sehr gute Erfahrungen mit MapleSim gemacht. Mit diesem Werkzeug lassen sich Maschinenkomponenten sehr effizient und exakt abbilden sowie Momente und Kräfte etwa für Maschinenauslegungen simulieren“, so Zehetleitner.
Der Entwickler importiert einfach die CAD-Daten eines Maschinenbauteils in MapleSim. Alle notwendigen Informationen, um sofort ein digitales Model zu erstellen, werden mitgeliefert. Welche Teile des Models beweglich sein sollen, lässt sich einfach einstellen. Aufwendige Berechnungen mittels mathematischer Formeln muss der Entwickler nicht mehr selbst erledigen – das übernimmt MapleSim für ihn. Sämtliche Bewegungsabläufe oder Drehpunkte können per Knopfdruck festgelegt werden.
So kann der Entwickler einfach und schnell definieren, wie sich die Maschinenkomponente bewegen soll. Auch Kräfte, die auf die Maschine einwirken, werden sofort sichtbar. In der Simulation lassen sich nun sehr einfach und effizient unterschiedliche Belastungsfälle testen – Tests, die am realen System in dieser Form nicht möglich sind oder viel Zeit, viele Mitarbeiter und Ressourcen binden würden. Der Entwickler erkennt in der Simulation auf einen Blick, ob die Maschine der Belastung standhalten wird oder nicht.
Komponenten auswählen
Sobald der digitale Zwilling der Maschinenkomponente fertig eingestellt ist und alle Bewegungsprofile festgelegt wurden, müssen die entsprechenden Komponenten wie Motoren und Antriebe ausgesucht werden. B&R hat dafür MapleSim mit dem Werkzeug SERVOsoft Drive Sizing gekoppelt. „In SERVOsoft sind alle B&R-Produkte hinterlegt. Das Tool erhält die Informationen aus MapleSim und schlägt zum Beispiel alle Antriebe vor, die für das Modell in Frage kommen. Unter- oder Überdimensionierung gehören der Vergangenheit an“, erklärt Zehetleitner.
Hard- und Software parallel entwickeln
Mit einem Export der Functional Mock-up Units (FMU) aus MapleSim lässt sich das Modell mit allen Gleichungen und den CAD-Daten in die B&R-Entwicklungsumgebung Automation Studio übernehmen. „Software und Hardware können parallel entwickelt werden, bevor auch nur ein Teil der Maschine physikalisch gebaut wird“, so Zehetleitner. Sind Anpassungen notwendig, lassen sich sämtliche Daten einfach aktualisieren. Der digitale Zwilling passt sich automatisch an, da alle Systeme miteinander verbunden sind. Dieser Vorgang spart nicht nur erheblich Zeit ein, sondern senkt auch die Kosten für den Prototyp.
Der Entwickler testet die Automatisierungssoftware für das digitale Maschinenmodell direkt auf seinem Laptop ohne reale Hardware. Ist er mit dem Ergebnis der Simulation zufrieden, kann er die Software auf die tatsächliche Steuerung übertragen. Zudem bietet B&R mit dem B&R Scene Viewer die Möglichkeit, den digitalen Zwilling der Maschine zu visualisieren. Der Entwickler kann so seine Maschine zusammen mit der Maschinensoftware digital testen und anpassen. Erst wenn alle Abläufe funktionieren, wird der reale Prototyp gebaut. „Der B&R Scene Viewer eignet sich auch optimal, um dem Kunden die durch die Maschinensoftware gesteuerte Maschinenbewegung während des Entwicklungsprozesses immer wieder vorab zu zeigen. So kann der Maschinenbauer sicherstellen, dass das Endergebnis den Vorstellungen des Kunden vollumfänglich entspricht“, sagt Zehetleitner.
Digitaler Zwilling als Basis für neue Maschinengenerationen
Der digitale Zwilling ist auch nach Fertigstellung der Maschine noch von großem Nutzen. Er kann für die Inbetriebnahme der Maschine herangezogen werden, genauso wie für die Fehlerbehebung im laufenden Betrieb. Mögliche Lösungen und Updates lassen sich zuerst am digitalen Modell testen und werden erst auf die reale Maschine übertragen, wenn sie reibungslos funktionieren. Zudem bieten sich der digitale Zwilling und die dazugehörige Steuerungssoftware als Grundlage für die Weiterentwicklung des Maschinentyps an. Auch für neue Maschinengenerationen kann auf dem bestehenden digitalen Zwilling aufgesetzt werden.
Autor: Carola Schwankner, Unternehmensredakteurin bei B&R