Wird ein Prozessleitsystem durch ein neues abgelöst, ist eine maßgeschneiderte Migrationsstrategie wichtig, um nachteilige Auswirkungen auf den Produktionsbetrieb möglichst gering zu halten. Das gilt besonders dann, wenn die betroffene Anlage weitere, größere Produktionsbereiche mit Roh-, Grund- oder Hilfsstoffen beliefert. Hier kann selbst ein kurzer Stillstand zu weitreichenden Produktionsausfällen führen. Sanofi-Aventis Deutschland hat am Standort Frankfurt-Hoechst anhand einer Pilotanlage für die Versorgung der Arzneimittelproduktion mit WFI Wasser gezeigt, dass mit APROL von B&R und der richtigen Strategie selbst die Migration einer über die Jahre gewachsenen Anlagenstruktur effizient und sicher möglich ist. Das zu den zehn größten Pharmaproduzenten der Welt gehörende Unternehmen läutete damit die Umstellung mehrerer Anlagen auf das leistungsfähige Prozessleitsystem von B&R ein.
Sind ganze Anlagen oder Anlagenteile veraltet, arbeiten nicht mehr zuverlässig oder werden vom Lieferanten nicht mehr unterstützt, müssen sie über kurz oder lang ausgetauscht werden. Ziel ist es dabei, den Betrieb möglichst schnell wieder in gewohntem Umfang aufnehmen zu können und auf Jahre hinaus zu sichern. Im Idealfall lassen sich sogar Verbesserungen gegenüber dem Bestandssystem realisieren. Die Umstellung auf moderne Technik ist aber mit einem nicht zu unterschätzenden Aufwand verbunden und kann zu unerwarteten Produktionsausfällen führen. Das ist dann besonders kritisch, wenn die betroffenen Betriebsmittel zu Anlagen gehören, die andere Produktionsbereiche mit Roh-, Grund- oder Hilfsstoffen versorgen. Um das Umstellungsrisiko zu minimieren, empfiehlt es sich, eine auf die jeweilige Situation zugeschnittene Migrationsstrategie zu entwickeln.
Verringerung der Risiken einer Migration
„Welche Migrationsstrategie für den konkreten Fall die richtige ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Sie ist zu einem guten Teil auch eine Frage der individuellen Sichtweise und Risikobewertung“, erläutert Christian Sturm, verantwortlicher Projektingenieur bei der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. „Wir bevorzugen – wie die meisten Pharmaunternehmen – eine schrittweise Migration. Damit lassen sich die mit einer Migration verbundenen Risiken minimieren, ohne dass der Aufwand für die gesetzlich vorgeschriebenen Qualifizierung und Validierung unserer pharmazeutischen Anlagen, die jede Änderung nach sich zieht, überhandnimmt.“
Bei der schrittweisen Migration wird das Prozessleitsystem auf eine neue Technologie umgestellt, während die Steuerungs- und Feldebene so weit wie möglich unangetastet bleibt. Müssen auch diese Systeme getauscht werden, kann sich das Unternehmen durch eine entsprechende Ersatzteillagerhaltung zusätzliche Zeit verschaffen.
„Die zusätzliche Sicherheit einer schrittweisen Migration wird allerdings mit einigen Nachteilen erkauft“, macht Christian Sturm deutlich. „Dazu gehört, dass das Bestandssystem parallel zum neuen Prozessleitsystem bis zum Abschluss der Migration am Leben gehalten werden muss.“ Das bedeutet nicht nur einen erhöhten Platzbedarf, sondern auch zusätzlichen Organisations- und Dokumentationsaufwand.
„Die entscheidende Frage ist aber, wann und wie die Inbetriebnahme und Validierung des neuen Prozessleitsystems erfolgen kann“, unterstreicht der Experte von Sanofi-Aventis. „Ist es möglich, parallel auf das Bestandssystem zuzugreifen, kann die technische Inbetriebnahme zum Großteil schon vor der eigentlichen Umschaltung erledigt werden. Und fast noch wichtiger: Auch die Qualifizierung der Steuerung und Validierung der neuen Computersysteme lässt sich dann vorab durchführen.“
Diese Vorteile machen die Nachteile einer schrittweisen Migration mehr als wett. Bei der Evaluierung eines Prozessleitsystems ist es daher ein wichtiges Kriterium, in wieweit es eine schrittweise Migration zulässt und unterstützt.
Software-Struktur beeinflusst Life Cycle
Für Christian Sturm ist die Komplexität und Beherrschbarkeit der Software ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Auswahl und Bewertung eines Prozessleitsystems: „Ab einer gewissen Größe der Anlage sollte man sich von externen Serviceleistungen nicht vollständig abhängig machen und das erforderliche Know how vorrangig in den eigenen Reihen halten.“ Das setzt voraus, dass nicht für jeden Handgriff ein ausgesprochener IT-Experte hinzugezogen werden muss. „Ebenso entscheidend ist, dass die Struktur der Software ausgereift ist. Dazu gehört, dass die Software möglichst ein gekapseltes System bildet und damit unabhängig vom jeweiligen Betriebssystem und seinen Programmierschnittstellen ist. Dies sorgt letztendlich für eine längere Lebensdauer des Leitsystems“, ergänzt Christian Sturm.
Viele Migrationswerkzeuge sollen laut Herstellerangaben dazu beitragen, die Komplexität besser beherrschbar zu machen und das Engineering zu vereinfachen. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Werkzeuge aber oft nicht das halten, was sie versprechen“, schränkt Patrick Heiber, Leiter Instandhaltung EMR bei der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, ein. Ein Problem ist dabei der in gewachsenen Anlagen übliche tote Code, also die nicht mehr genutzten Codeanteile in der Software, die von den Automatismen der Migrations-Tools ungeprüft übernommen werden. Dies erhöht die Komplexität der Software, statt sie zu senken. „Die Migrations-Tools können aber dazu beitragen, den Programmieraufwand zu reduzieren“, räumt Heiber ein, „auch wenn ich bisher kein Tool gesehen habe, dass eine hundertprozentige Migration erreicht hat und ohne manuelle Eingriffe beziehungsweise eine Nachbearbeitung insbesondere der dynamischen Objekte ausgekommen wäre.“ Deshalb ist die Prüfung des Codes beziehungsweise der Objekte trotzdem erforderlich.
Dedizierte Werkzeuge können aber den Migrationsprozess optimal unterstützen, wie das Beispiel des TAG Importers von APROL belegt. Er muss nur einmal validiert werden. Danach lässt sich mit ihm das Programm von diversen Steuerungen auslesen und das komplette Projekt einschließlich der Objekte auf Knopfdruck und weitgehend automatisiert in APROL anlegen. „Wenn dieser Prozess einmal nach den Kriterien der 21 CFR part 11 beziehungsweise Annex 11 geprüft ist, kann man davon ausgehen, dass der Vorgang auch ohne weitere Qualifizierung zuverlässig funktioniert“, fügt der Projektleiter von Sanofi-Aventis an. „Das Werkzeug Tag Importer bietet auch bei Modifikationen im weiteren Lebenszyklus der Anlage einen klaren Engineering-Vorteil.
"Es hat sich bestätigt,dass wir mit B&R APROLdie richtige Wahl getroffenhaben."Christian Sturm, verantwortlicher Projektingenieurbei der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
APROL von B&R macht das Rennen
Als die Verantwortlichen von Sanofi-Aventis daran gingen, die Migration für 15 große und über viele Jahre gewachsene Anlagen zur Versorgung von diversen pharmazeutischen Produktionsprozessen mit Wasser für pharmazeutische Anwendungen (Water For Injection, WFI) in Angriff zu nehmen, war der TAG Importer und die damit realisierte enge Integration in die bestehenden Steuerungen dann auch einer der Faktoren, die dazu geführt haben, dass sich B&R mit APROL in einer umfangreichen Evaluierung gegen vier andere Prozessleitsysteme durchsetzen konnte.
B&R APROL kann zudem parallel auf die existierende Steuerungsebene zugreifen, während das Bestandsprozessleitsystem unbeeinträchtigt weiterarbeiten kann, und unterstützt so eine schrittweise Migration inklusive einer Validierung der Prozesse „am lebenden Objekt“ in vorbildlicher Weise.
„Überzeugt hat uns auch die Struktur der Software, die wir auf Herz und Nieren geprüft haben“, urteilt Christian Sturm. „Als linuxbasiertes System kommt APROL dem Ideal einer gekapselten und von der schnelllebigen Office-Welt abgekoppelten Automatisierungslösung recht nahe. “ Als weiteren Pluspunkt führt der Leitsystemspezialist von Sanofi-Aventis die intelligenten Mechanismen der Desaster-Recovery-Strukturen von B&R APROL an. „Gut gelöst hat B&R auch das Aufsetzen eines Leitrechners, so dass dafür kein IT-Studium erforderlich ist“, fügt Sturm an. „Auch die Systemwartung kann problemlos durch unser eigenes Personal abgewickelt werden."
Pilotanlage mit APROL und ABB Freelance Steuerungen
Sanofi-Aventis nutzt bereits Komponenten von B&R in größerer Stückzahl, doch mit APROL hatte das Unternehmen konzernweit bis dato noch kein Projekt umgesetzt. „Wir sind als pharmazeutisches Unternehmen sehr konservativ und haben die Migration daher erst einmal mit einer Pilotanlage vollzogen, um das Risiko eines Lieferantenwechsels noch weiter zu reduzieren“, erklärt der Projektleiter. Bei der Pilotanlage handelt es sich um eine komplett neu aufgebaute Anlage, die aber alle Funktionen der großen Bestandsanlagen abdeckt und die mit einem B&R-APROL-Leitsystem und ABB-Komponenten auf der Steuerungs- und Feldebene ausgerüstet wurde. „Unsere Erwartungen wurden dabei nicht enttäuscht. Es hat sich bestätigt, dass wir mit B&R APROL die richtige Wahl getroffen haben“, fasst Christian Sturm die Erfahrungen mit der Pilot-Anlage zusammen. „Wir haben bereits damit begonnen, auch die restlichen WFI-Anlagen im Laufe von zwei Jahren auf das neue Leitsystem umzustellen.“