Der Markt für Halbleiterbauteile ist sehr volatil. In den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren hat es regelmäßig Zeiten des Bauteilmangels gegeben, die dann relativ plötzlich von einer Zeit des Überschusses abgewechselt wurden. Supply-Chain-Experte Gerald Haas erklärt, welche Schlüsse aus diesen Erfahrungen für die aktuelle Krise gezogen werden können.
Herr Haas, was unterscheidet die aktuelle Krise von den vorhergehenden?
Gerald Haas: Der Unterschied ist, dass sehr viele Faktoren zusammenkommen, deren Auswirkungen sich teilweise nicht nur addieren, sondern sogar potenzieren. Eine Bauteilknappheit in dem Ausmaß hat es bisher nicht gegeben. Aber es handelt sich bei weitem nicht um die erste Bauteilkrise, denn dieser Markt ist sehr volatil.
Was bedeutet das?
Haas: Angebotsüberschuss und Angebotsdefizit wechseln sich immer wieder ab. In einem Moment müssen Halbleiter-Hersteller Insolvenz anmelden, weil das Angebot zu groß und die Preise viel zu niedrig sind und kurze Zeit darauf übersteigt die Nachfrage wieder das Angebot und die Preise schnellen nach oben. Das ist auch der Grund, weshalb es in den vergangenen Jahren starke Konsolidierungstendenzen gegeben hat und die Zahl der Halbleiterhersteller massiv gesunken ist.
Welche Erkenntnisse können wir aus den vergangenen Krisen ziehen?
Haas: Sehr spannend ist es zum Beispiel, wie die vergangenen Krisen geendet haben. Das war nämlich immer recht abrupt und überraschend. Grundsätzlich würde man ja davon ausgehen, dass die Krise zu Ende ist, sobald die Produktionskapazitäten das Nachfrageniveau erreicht haben. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass dies bereits früher der Fall ist. In Zeiten des Mangels gibt es nämlich Marktteilnehmer, die bewusst Materialien horten oder sogar damit spekulieren. Zudem wird auf Nachfrageseite vorsichtshalber mehr bestellt, als dann tatsächlich benötigt wird.
Was hat das für eine Auswirkung?
Haas: Irgendwann kommt es zu einer Kettenreaktion. Ein erster Spekulant merkt, dass die Knappheit in absehbarer Zeit zu Ende ist und beginnt sein gehortetes Material auf den Markt zu werfen. Der Preis sinkt und andere Marktteilnehmer beginnen ihre Lager zu leeren, um Verluste zu vermeiden. Dann merken auch die Nachfrager, dass sie bei ihren Bestellungen keine übermäßigen Sicherheitspolster mehr einplanen müssen – und plötzlich ist das Angebot größer als die Nachfrage. Ich bin mir sicher, dass dieser Mechanismus auch bei der aktuellen Krise wieder genauso funktionieren wird.