Die Digitalisierung reicht nicht aus, um Losgröße 1 und die individualisierte Massenproduktion umzusetzen. Es sind auch innovative Ansätze in Mechanik und Antriebstechnik nötig. Ebensolche Ansätze bilden den Kern eines neuen, intelligenten Transportsystems. Mit dessen einzigartiger Konzeption lassen sich adaptive Maschinen und Anlagen für eine flexible und wirtschaftliche Produktion bauen.
Produzierende Unternehmen suchen nach Lösungen, um neue Produkte immer schneller auf den Markt zu bringen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Herausforderung dabei ist: Eine möglichst hohe Gesamtanlageneffektivität (OEE) und Produktivität selbst bei der individualisierten Massenproduktion in Losgröße 1 zu erreichen. „Die viel diskutierte Digitalisierung auf der Basis von Kommunikationstechnologien und Software reicht dazu nicht aus“, sagt Robert Kickinger, Manager Mechatronic Technologies bei B&R. Auch der Transport der Produkte in Maschinen und Anlagen muss auf die neuen Anforderungen hin optimiert werden, was B&R getan hat: „Mit der Entwicklung des intelligenten Transportsystems ACOPOStrak haben wir revolutionäre Möglichkeiten für wegweisende neue Maschinenkonzepte geschaffen“, sagt Kickinger.
Weiche maximiert OEE
Welche Eigenschaften machen das intelligente Transportsystem für die Automatisierung von Prozessen nun so einzigartig? „Da ist zum einen die Weiche. Sie funktioniert rein elektromagnetisch und damit völlig verschleißfrei“, sagt Kickinger. Wie bei einer Weggabelung lassen sich mit der Weiche des ACOPOStrak nicht Autos sondern Produktströme zusammenführen oder trennen. „Die Weiche löst bei voller Geschwindigkeit der Shuttles aus und beeinträchtigt damit nicht die Produktionsgeschwindigkeit“, hebt Kickinger hervor.
Die Weiche ermöglicht, Massenprodukte wie einen Sechserpack mit Getränken, individuell mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen in Echtzeit zusammenzustellen – drei hiervon, zwei davon und eins davon – und zwar ohne Umbaumaßnahmen an der Hardware. Auch lassen sich mit der Weiche nach einer Qualitätskontrolle fehlerhafte Produkte an Ort und Stelle aussortieren. Das wirkt sich im Gegensatz zu herkömmlichen Maschinen oder Anlagen, bei denen mangelhafte Produkte meist bis zum Ende durch die Produktion geschleust und erst dann entnommen werden, positiv auf die Gesamtproduktivität aus.
Parallele Bearbeitung
Die Möglichkeit, mit dem Transportsystem parallel produzieren zu können, steigert ebenso die Produktivität. Mithilfe von Weichen lässt sich ein Produktstrom auf mehrere Bearbeitungsstationen verteilen und anschließend wieder zusammenführen. Einzelne Bearbeitungsschritte, die länger dauern, verlangsamen nicht mehr die Geschwindigkeit der Produktion. „Damit braucht der Endkunde für einen höheren Output keine proportional größere Maschinenstellfläche mehr“, sagt Kickinger. Der ACOPOStrak führt also zu einer höheren Produktivität pro Fläche. „Was letztendlich zu einem höheren ROI beiträgt“, ergänzt Kickinger. Maschinen oder Anlagen, die auf dem intelligenten Transportsystem basieren, können bei Bedarf modular und flexibel um einzelne Trackelemente und Bearbeitungsstationen erweitert werden, um die Produktivität zu steigern. Damit wird die skalierbare Maschine Realität.
Ebenso lassen sich mit ACOPOStrak Maschinen und Anlagen bauen, die hochflexibel auf Fehler reagieren. Tritt zum Beispiel bei einem Ventil einer Abfüllanlage ein Fehler auf, wird dieses Ventil einfach nicht mehr angefahren. Es entsteht kein Ausschuss durch das defekte Ventil – der Qualitätsfaktor der OEE-Kennzahl steigt.
Umrüstung bei voller Geschwindigkeit
Eine weitere hervorzuhebende Eigenschaft des Transportsystems ist, dass sich die Shuttles im laufenden Betrieb und ohne Werkzeug tauschen lassen. Das sorgt für eine besonders hohe Verfügbarkeit. Beim Produktwechsel muss der Bediener lediglich die Räder der gerüsteten Shuttles auf die Führungen setzen. Durch Permanentmagnetkraft werden die Shuttles dann am Track gehalten. Noch effizienter wird die Umrüstung, wenn eine Servicelinie am Track vorhanden ist. „Wir können uns das wie bei einer Wechselbank beim Eishockey vorstellen“, erklärt Kickinger. Auf der Servicelinie werden die neuen Shuttles angebracht und über eine Weiche in die Produktivlinien des Tracks eingeschleust. Zeitgleich werden die nicht mehr benötigten Shuttles auf die Servicelinie umgeleitet. „All das passiert bei voller Produktionsgeschwindigkeit“, betont Kickinger.
Das besonders flexible Design des ACOPOStrak erlaubt es, alle möglichen offenen und geschlossenen Formen auf der Basis einer Gitterstruktur zu bauen und miteinander zu kombinieren. Das Track-System ist im Kern ein Linearmotor, der modular aus vier Elementen aufgebaut wird: ein Geraden-Element, ein 45°-Element und zwei 22,5°-Elemente, eins nach rechts und eins nach links gebogen. „Der ACOPOStrak passt sich optimal an die Gegebenheiten der Produktionsanlagen an“, sagt Kickinger und ergänzt: „zudem ermöglicht der ACOPOStrak völlig neue Maschinendesigns, die bisher nicht umsetzbar waren.“
Hochdynamisch und flexibel
Das intelligente Transportsystem ist nicht nur sehr flexibel, sondern auch hoch performant. Das System verfügt über eine Beschleunigung von mehr als 5 g und erreicht eine Maximalgeschwindigkeit von mehr als 4 m/s. Der minimale Produktabstand liegt bei 50 mm. Kickinger unterstreicht: „Ein System mit diesen Performancedaten in Kombination mit Weichen und der weitreichenden Designflexibilität ist ein Novum am Markt.“ Dadurch lässt sich die Produktivität massiv steigern und der ROI maximieren, ist sich der Mechatronikspezialist sicher.
Schneller am Markt
Damit der ACOPOStrak in kurzer Zeit zum Laufen kommt, stellt B&R umfangreiche Software-Funktionen zur Verfügung. Der Applikationscode ist in der Simulation ebenso wie auf der realen Hardware uneingeschränkt lauffähig. „Der Anwender kann während der Entwicklung beliebig zwischen Simulation und realer Hardware wechseln“, sagt Kickinger. Das verkürzt Entwicklung und Inbetriebnahme erheblich. „Die Anlage kommt schneller auf den Markt.“
Die Programmierung des Tracks erfolgt prozessorientiert. Der Programmierer beschreibt Regeln, die den Produktfluss am Track definieren. Das geht schneller, als eine hohe Anzahl an Achsen oder Shuttles einzeln zu programmieren. Der Entwickler der Applikations-Software wird zudem durch eine integrierte Kollisionsvermeidung entlastet, die für einen reibungslosen Fluss der Produktion sorgt.
Individualisierte Massenproduktion in Sicht
Mit dem ACOPOStrak hat B&R eine Lösung geschaffen, mit der sich flexible und modulare Anlagen hochrentabel betreiben lassen. „Mit unserem System ermöglichen wir eine hohe Gesamtanlageneffektivität, eine hohe Rendite und kurze Time-to-market“, sagt Kickinger. Damit rückt die individuelle Massenproduktion in großem Stil in greifbare Nähe.
Autor: Carmen Klingler-Deiseroth, freie Fachjournalistin
Wirtschaftlichkeit bei Losgröße 1
Konsumenten sind bereit, für personalisierte Produkte höhere Preise zu zahlen und fragen solche Produkte verstärkt nach. Individualisierte Massenfertigung bietet daher ein attraktives wirtschaftliches Potenzial. Die rentable Umsetzung dieser Art von Produktion ist in den meisten Industriesegmenten jedoch eine große Herausforderung. Die notwendige Flexibilisierung der Anlagen geht zumeist mit einer sinkenden Gesamtanlageneffizienz – auch Overall Equipment Effectiveness (OEE) genannt – einher.
Ziel einer individualisierten Massenproduktion muss demnach sein, dass die drei OEE-Komponenten Verfügbarkeit, Performance und Qualität im Vergleich zur reinen Serienproduktion nicht sinken. Es sollte zudem ein attraktiver Return on Investment (ROI) und eine möglichst niedrige Time-to-Market (TTM) für neue Produkte oder Produktänderungen gewährleistet sein. Nur so lässt sich die Individualisierung von Massenprodukten im großen Stil wirtschaftlich umsetzen.