Vor allem mittelständische Unternehmen können sich bei einer Modernisierung der Steuerungs- und Leittechnik ihrer Prozessanlage keine längeren Produktionsausfälle leisten. Eine schrittweise Migration kann hier helfen, längere Produktionsunterbrechungen und ungeplante Anlagenstillstände zu vermeiden, wie ein aktuelles Migrationsprojekt des Spezialchemieherstellers CHT/BEZEMA zeigt. Voraussetzung ist allerdings, dass das Prozessleitsystem und die Steuerungstechnik das stufenweise Vorgehen optimal unterstützen, wie das bei der B&R-Lösung der Fall ist.
„Wir haben die Prozesssicherheit und die Produktqualität erhöht und können wesentlich flexibler und schneller auf die sich ändernden Marktanforderungen reagieren“, sagt Günther Schätzle, Leiter Betriebstechnik der CHT R. BEITLICH GmbH. Gelungen ist dies, indem das Unternehmen seine Prozessanlagen am wichtigsten Produktionsstandort, im Werk Dußlingen bei Tübingen, mit B&R-Technik modernisiert hat.
Gerade mittelständische Unternehmen wie CHT begrüßen eine Lösung wie APROL, ergänzt Schätzle: „Mit APROL lässt sich das Migrationsrisiko minimieren“. Die Lösung sei zudem nicht nur auf die Anforderungen der Großindustrie und die dort übliche vollautomatische Rezepturfahrweise zugeschnitten. Ein Aspekt, der für CHT entscheidend war, denn eine Migration war unumgänglich geworden.
Neben dem Prozessleitsystem APROL hält auch das X20-Steuerungssystem von B&R Einzug bei CHT. Insgesamt 46 HMIs aus der PowerPanel-Serie von B&R werden in Betrieb genommen sowie zahlreiche weitere Steuerungen und I/O-Module.
Hochwertige Spezialchemikalien aus 68 Anlagen
In den vergangenen Jahren hat sich das Unternehmen vom reinen Textilchemieanbieter zur Manufaktur für Spezialchemikalien in den Bereichen Textil, Textilpflege, Bauchemie und Performance Chemicals mit kundenorientierter Produktentwicklung und einem großen, weiter wachsenden Produktspektrum gewandelt. Den überwiegenden Teil des Umsatzes erzielt das Unternehmen mit komplexen Produkten, die vornehmlich am Produktions- und Logistikstandort Dußlingen hergestellt werden.
Dort betreibt CHT 68 Anlagen, darunter zehn übergeordnete Versorgungsanlagen, 40 Mischkesselanlagen und 14 Chemiereaktoren. Viele Produktionsanlagen sind als Multifunktionsanlagen ausgelegt, die für die Herstellung von bis zu 100 unterschiedlichen Produkten flexibel eingesetzt werden können.
Ziel der Migration: erhöhte Effizienz
„In den vergangenen Jahren zeichnete sich ab, dass die historisch gewachsene Technik für die Steuerung, Visualisierung und Betriebsdatenerfassung (BDE) in absehbarer Zeit nicht mehr mit den steigenden Anforderungen an die Produktqualität und den Qualitätsnachweis, die Prozesssicherheit sowie den gesetzlichen Sicherheitsvorgaben Schritt halten können würde“, benennt Schätzle das Motiv für die Anfang 2011 in Angriff genommene Migration. „Darüber hinaus hat uns die alte Technik bei der schnellen Umsetzung neuer Anforderungen eingeschränkt.“
Drei Tage habe es zum Beispiel gedauert, um nur ein zusätzliches Ventil einzubauen und in Betrieb zu nehmen. Weiterer auslösender Faktor für die Migration waren die vermehrt auftretenden, altersbedingten Geräteausfälle, gleichzeitig hat sich die Ersatzteilversorgung verschlechtert.
Ziel der angestrebten Migration war daher: die veraltete und anfällige sowie unflexible Steuerungs-, Visualisierungs- und BDE-Technik durch neue abzulösen, die dem Stand der Technik entspricht. „Eine Vollautomatisierung der Anlagen war dabei ganz klar nicht erstes Ziel“, ergänzt Schätzle, „für unsere Multifunktionsanlagen wäre sie zu aufwändig geworden.“
Deutlich einfacher lassen sich bei CHT mit APROL Prozessabläufe analysieren. Mit dem Trend-Viewer oder dem Audit Trail ist nun eine Analyse von Vorgängen möglich, die mit den Vorgängersystemen nicht beobachtet werden konnten.
B&R-Prozessleitsystem APROL setzt sich durch
In einer ausführlichen Evaluation hat ein aus CHT-Mitarbeitern gebildetes Expertenteam drei verschiedene Prozessleitsysteme und die Steuerungs- und Visualisierungstechnik zweier Anbieter anhand einer umfangreichen Beurteilungsmatrix im Detail untersucht und bewertet. B&R bekam den Zuschlag.
Aus Sicht des CHT-Managers sprachen für diese Entscheidung klare Argumente: „Einer der Hauptgründe ist, dass das Leitsystem APROL von B&R – im Gegensatz zu den anderen von uns evaluierten, sehr bekannten und verbreiteten Systemen – eine schrittweise Migration optimal unterstützt. APROL erlaubt es, die Produktionsanlage sukzessive auf das neue Prozessleitsystem umzustellen, während parallel die alten Systeme weiterlaufen.“
Besonders schätzen die CHT-Experten auch die gewonnene Unabhängigkeit von Windows. Die Leit- und Visualisierungstechnik von B&R basiert auf Linux und überzeugt im Vergleich zu anderen Lösungen durch eine klare und leicht verständliche Struktur des Prozessleitsystems.
B&R-Hardware bildet Anlagenstruktur optimal ab
B&R verfügt zusätzlich über ein fein abgestuftes Steuerungs- und Visualisierungsportfolio. Dieses ermöglicht es CHT, jede Anlage mit einer SPS mit maßgeschneiderter Rechenleistung und angereihten I/Os sowie einem eigenen HMI auszustatten. Deshalb entschied sich der Chemieproduzent gleich auch noch für die Steuerungs- und Visualisierungstechnik von B&R.
„Vorteilhaft ist, dass wir die tatsächliche Anlagenstruktur unmittelbar in der Steuerungs- und Visualisierungstechnik abbilden und eine schrittweise Migration auf der Hardwareseite optimal umsetzen können“, erklärt Schätzle und ergänzt: „Auch die geringeren Schnittstellen- und Kommunikationsprobleme sprechen für die Lösung aus einer Hand.“
Zwar wäre es auch mit der im Rahmen der Evaluierung untersuchten Steuerungstechnik eines großen deutschen Herstellers möglich gewesen, jede Anlage mit einer eigenen Steuerung auszustatten, räumt Schätzle ein. „Aber nur über Umwege oder mit Hilfe einer Soft-SPS, was für uns beides nicht in Frage kam.“
Die Nachteile eines Wechsels des Steuerungs- und Prozessleitsystemanbieters schätzt der CHT-Mann gering ein: „Die Software hätten wir ohnehin schon deshalb weitgehend neu schreiben müssen, da sich über die Jahre bis zu 50 Prozent ungenutzte Codes eingeschlichen hatten und damit eine Wiederverwendung faktisch unmöglich war.“
Auch auf der Kostenseite sieht der Leitende Ingenieur bei CHT kaum Unterschiede zwischen den evaluierten Lösungen. „Die Angebote der von uns angefragten Integratoren unterschieden sich zwar zum Teil deutlich“, sagt Schätzle, „die jeweils von den Integratoren veranschlagten Kosten für die alternativ angebotenen Prozessleitsysteme unterschieden sich dagegen jedoch nur um maximal 20 Prozent.“ Begründet wird dies mit der stark dezentralen Struktur der Produktionsanlagen, welche ideal auf die ebenfalls dezentral gewählte Prozessleitsystemstruktur abgebildet werden kann.
„Wir können mit APROL ermitteln und dokumentieren, was im Prozess passiert und Zusammenhänge besser durchschauen.“ Günther Schätzle (r.), Leiter Betriebstechnik bei der CHT R. BEITLICH GmbH
Offenheit von APROL sorgt für Flexibilität
Wichtiger als der reine Angebotspreis war für CHT bei der Wahl des Integrators aber, inwieweit sich der Anbieter in der Lage sah, auf die Anforderungen des Spezialchemieherstellers einzugehen und insbesondere auch zusätzliche Änderungen während des Projektes flexibel zu berücksichtigen. Die Erler GmbH konnte sich dabei gegen fünf weitere Systemintegratoren, die zu Anfang der Evaluierungsphase noch im Rennen waren, durchsetzen.
„Da wir Umfang und Komplexität der Aufgabe sehr gut abschätzen konnten, wir aber APROL selbst noch nicht eingesetzt hatten, waren wir anfangs skeptisch, ob APROL das bewältigen kann“, verrät Geschäftsführer Alois Erler. „Diese Zweifel wurden uns aber im Laufe des Projekts genommen.“
Auch die Migration ging leichter von der Hand als erwartet, wie der Integrator bestätigt: „APROL ist im direkten Vergleich zu anderen Prozessleitsystemen ein sehr offenes System, so dass wir auch während des laufenden Projektes weitgehend auf Kundenwünsche reagieren können. Gefallen hat uns ferner die problemlose Anbindung an das bestehende Altsystem. Das ist erstaunlich gut gelaufen.“
Seit der erfolgreichen Migration einer ersten, komplexen Pilotanlage mit rund 360 digitalen und 20 analogen I/Os wird seit Herbst 2011 fast wöchentlich eine weitere Produktionsanlage umgestellt. Bis zum zweiten Quartal 2013 sollen alle 68 Systeme im Werk Dußlingen auf APROL migriert sein und das alte Leitsystem abgestellt werden. Dann werden 46 HMIs aus der Power-Panel-Serie von B&R, knapp 70 X20-System-Steuerungen und insgesamt etwa 14.000 digitale plus noch einmal 1.000 analoge X20-System-I/Os, diverse über VNC-angebundene Bedienstationen für Schichtführer ihren Betrieb aufgenommen haben. Im System arbeiten zwei Runtime-Server, ein Engineering-Server und ein VNC Server, welche über ein komplexes Desaster-Recovery-Procedure-System abgesichert werden. Das linuxbasierte Produktionsnetzwerk kommuniziert mit der Windows-Welt des Unternehmensnetzwerks dabei über eine klar definierte Schnittstelle und ist redundant aufgebaut.
Doppelte Redundanz garantiert hohe Verfügbarkeit
„Wir haben sogar eine doppelte Redundanz“, ergänzt Schätzle. Jede Komponente eines Systems wird von zwei Bussen angefahren; einem Bedien- und einem Prozessbus. Jeder kann dabei im Notfall die Funktion des anderen übernehmen. Zusätzlich ist jedes System mit zwei Ports ausgestattet, die sich ebenfalls gegenseitig ersetzen können. Das garantiert die geforderte hohe Verfügbarkeit der Anlagen.
Schon während der Umstellung wurde deutlich, dass CHT mit der B&R-Technik mehr als einen Ersatz für das Altsystem geschaffen hat. „Das APROL-System ist wesentlich flexibler, so dass wir heute ein Ventil in wenigen Stunden einbauen und in Betrieb nehmen können. Zudem reicht ein Klick, das Ganze auf der Softwareseite rückgängig zu machen, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat.“
Deutlich einfacher geht auch die Analyse der Prozessabläufe von der Hand. „Wir konnten feststellen, dass wir mit dem Trend-Viewer oder dem Audit Trail Vorgänge analysieren können, die wir vorher nicht beobachten konnten“, erläutert Schätzle. „Wir analysieren mit APROL Prozesszusammenhänge in Echtzeit, mit dem Ziel Produktionsoptimierungen umgehend umsetzen zu können. Fehlchargen können im Nachhinein anhand der aufgenommenen Prozessdaten analysiert werden.“
Diese zusätzlichen Informationen nutzt CHT unter anderem auch zur Analyse und Reduzierung des Energieverbrauchs. „Zudem haben wir jetzt die Möglichkeit, kritische Prozesswerte individuell zu steuern, und erreichen damit eine erhöhte Sicherheit der Anlagen auch im Hinblick auf genehmigungsrelevante Vorgänge.
Mit APROL EnMon Einsparpotenziale nutzen
Zusätzliche Einsparungspotenziale will das Unternehmen durch die Einführung eines Energiemanagements realisieren, indem es als einer der ersten Anwender die brandneue EnMon-Bibliothek von APROL einsetzt.
„Die Migration ist bisher zu unserer vollsten Zufriedenheit verlaufen und hat nicht einmal die Hälfte einer Vollautomation gekostet. Durch das schrittweise Vorgehen und den parallelen Betrieb von APROL und Altsystem und einer Kopplung über einen Datenkonzentrator wurde unsere Produktion nur minimal beeinträchtigt und es kam zu keinerlei Datenverlust“, freut sich Schätzle. „Das System erlaubt es uns, flexibler und schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und Änderungen kostengünstig umzusetzen. Diese gute Bilanz hat uns dazu bewogen, dass wir auch weitere Anlagen des Konzerns auf APROL umstellen werden.“