Seit 1. April 2021 ist Jörg Theis Geschäftsführer von B&R. Im Interview verrät der 51-Jährige, was ihn an seinen Mitarbeitern so fasziniert, wo er das Unternehmen in fünf Jahren sieht und was andere ABB-Divisionen von B&R noch lernen können.
Herr Theis, wann haben Sie eigentlich das erste Mal von B&R gehört?
Jörg Theis: Das ist mehr als zwanzig Jahre her. Ich habe damals für einen großen Automatisierungsanbieter gearbeitet und recht schnell mitbekommen, dass es da einen Mitbewerber aus Österreich gibt, der den anderen Unternehmen in der Branche etwas voraushat: Mitarbeiter mit einer ganz besonderen Leidenschaft.
Wie meinen Sie das?
Theis: B&R-Mitarbeiter lieben die Herausforderung. Wenn der Mitbewerb die Segel streicht und sagt, dass die Anforderungen des Kunden nicht umsetzbar sind, wird es für den B&Rler erst richtig spannend. Wir wissen, dass wir technologisch ganz vorne dabei sind und wir haben den Ehrgeiz auch Herausforderungen zu lösen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht machbar erscheinen. Diese Einstellung hat mich schon damals fasziniert und jetzt, da ich sie täglich hautnah mitbekomme, begeistert sie mich noch mehr.
Sie haben gerade von wir gesprochen. Fühlen Sie sich also schon zu 100 % als B&Rler?
Theis: Definitiv. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und fühle mich absolut wohl. Und das finde ich sehr wichtig. Es ist für ein Unternehmen gar nicht gut, wenn der Geschäftsführer sich nicht als Teil des Ganzen fühlt.
Aber Tatsache ist, dass Sie fast ihr ganzes Berufsleben bei ABB verbracht haben. Wird das eine Auswirkung auf die Marke B&R haben?
Theis: Die Marke B&R ist bestens am Markt positioniert und das Unternehmen ist gut aufgestellt. Es gibt also keinen Grund, an der Marke B&R zu rütteln. Dort wo es uns sinnvoll erscheint, werden wir jedoch gut funktionierende interne Prozesse und Strukturen von ABB übernehmen – damit haben wir in den vergangenen Jahren auch schon begonnen. Zum Beispiel haben wir eine Abteilung geschaffen, die sich um alle Angelegenheiten rund um Gesundheit, Umwelt und Sicherheit kümmert. Diese Themen waren bei B&R bisher auch schon wichtig, aber wir werden ihnen mit einer eigenen Abteilung nun noch mehr Aufmerksamkeit schenken.
Wo kann B&R noch von der großen Konzernmutter ABB profitieren?
Theis: Ich sehe das gar nicht so einseitig. Ich denke, dass wir alle voneinander profitieren können. Und genau da sehe ich übrigens auch eine wichtige Aufgabe für mich: in der Vermittlung zwischen dem Großkonzern ABB und dem mittelständisch geprägten B&R.
Was heißt das konkret?
Theis: Ich versuche, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Schauen wir uns ABB an: einen großen Konzern, der quasi in jedem Land der Welt Mitarbeiter hat, die sich mit der Industrie und der Kultur vor Ort auskennen. Das erleichtert es B&R sehr, in neuen Märkten und Ländern Fuß zu fassen. Auf der anderen Seite haben wir die Agilität und Kundennähe von B&R, die ich auf jeden Fall beibehalten will – denn das ist die DNA des Unternehmens. Das sind übrigens Themen, bei denen andere ABB-Divisionen wiederum etwas von B&R lernen können. Und dann gibt es natürlich noch die Bereiche, in denen wir auf Produktebene zusammenarbeiten und gemeinsame Lösungen anbieten. Machine-Centric Robotics ist dafür ein hervorragendes Beispiel.
Welche Themen beschäftigen Sie derzeit am meisten?
Theis: Neben sehr vielen anderen Themen stechen derzeit zwei besonders heraus: Das eine ist die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens und das andere die Bauteilknappheit. Aufgrund der Situation am Markt für elektronische Bauteile können wir derzeit leider manche Bestellungen nur mit Verzögerungen bedienen. Das tut mir persönlich sehr weh und wir setzen alles daran, damit unsere Kunden die Auswirkungen der Bauteilknappheit möglichst wenig spüren.
Und wie sieht es mit der strategischen Weiterentwicklung aus? Wo soll B&R aus Ihrer Sicht in fünf Jahren stehen?
Theis: Mein Ziel ist es, dass B&R weltweit als Top-Player in der Automatisierungsbranche bekannt ist. Ich wünsche mir, dass B&R in fünf Jahren immer in der engeren Wahl ist, wenn ein Unternehmen eine Maschine oder Anlage automatisieren möchte – egal in welchem Land der Welt. Derzeit evaluieren wir, welche Maßnahmen notwendig sind, um das zu erreichen. Aus meiner Sicht ist es dabei unter anderem sehr wichtig, dass wir beim Thema Digitalisierung ganz vorne dabei sind. Auf diesem Gebiet werden wir in den kommenden Jahren massiv investieren.
Ich höre heraus, dass Sie B&R internationaler machen wollen. Was bedeutet das für den Stammsitz in Oberösterreich?
Theis: Unser Stammsitz in Eggelsberg ist als zentraler Entwicklungs- und Produktionsstandort gesetzt. Gerade die unmittelbare räumliche Nähe zwischen Entwicklung und Fertigung ist ein ganz klarer Vorteil am Standort Eggelsberg. Aber wir werden zugleich globaler werden und unser Know-how nicht mehr nur dort bündeln. Wir haben bereits begonnen, viele Teams internationaler aufzustellen. Wir unterhalten mittlerweile erste Entwicklungsteams in anderen Ländern und auch unser Produktmanagement ist nicht mehr nur in Eggelsberg stationiert. Mit Luca Galluzzi haben wir sogar ein Mitglied der Geschäftsführung, dessen Arbeitsmittelpunkt nicht in Österreich liegt. Durch die modernen Möglichkeiten der Online-Zusammenarbeit ist das problemlos möglich. Und unsere Kunden profitieren davon, dass wir für jeden Job den besten Mitarbeiter einsetzen können, egal wo dieser sitzt. Diese Strategie wollen wir konsequent fortsetzen.
Demnächst wird in Eggelsberg der große Automation Campus eröffnet. Wird der Gebäudekomplex im Zuge dieser Internationalisierungsstrategie überhaupt noch benötigt?
Theis: Unbedingt. In den vergangenen Monaten sind schon mehrere hundert Mitarbeiter in den Campus umgezogen und wir suchen allein für den Standort Eggelsberg derzeit weitere 200 Mitarbeiter. Aber der Campus ist weit mehr als nur ein Gebäudekomplex mit Büroarbeitsplätzen, Entwicklungslaboren und Schulungsräumen: Er ist auch der Ort, an dem wir gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern daran arbeiten, wie die Produktion der Zukunft aussehen wird.
Ich glaube, das müssen Sie uns ein bisschen genauer erklären.
Theis: Sehr gerne. Der Hintergrund ist folgender: Moderne Maschinen werden immer komplexer und sie müssen immer stärker mit anderen Maschinen und übergeordneten Systemen interagieren, um schließlich eine produktive Linie zu ergeben. Wenn ein Maschinenbauer allein in seinem stillen Kämmerlein arbeitet, kann er diese Anforderungen gar nicht mehr erfüllen. Daher sitzen wir als Automatisierungsanbieter immer öfter mit Maschinenbauern und Anlagenbetreibern an einem Tisch und entwerfen Konzepte, wie der Produktionsprozess ablaufen soll. Intelligente Transportsysteme wie ACOPOS 6D oder ACOPOStrak spielen bei vielen dieser Konzepte eine tragende Rolle, da diese Technologien es ermöglichen, bisher getrennte Prozesse nahtlos miteinander zu verschmelzen.
Was haben Sie noch mit dem Campus vor?
Theis: Wir werden natürlich unser bewährtes Schulungsprogramm beibehalten und auch noch weiter ausbauen. Zusätzlich laufen bereits Gespräche, um Veranstaltungen von Verbänden, Partnern und Forschungseinrichtungen bei uns im Haus abzuhalten. Das ist auch ein weiterer Schritt, um Eggelsberg und B&R zu einem internationalen Zentrum der Automatisierungstechnik zu machen – damit wir unseren Kunden auch zukünftig die weltweit beste Automatisierung für ihre Maschinen und Anlagen bieten können.